Donnerstag, 19. Mai 2011

Foto-Update

Ihr Lieben,

ich habe nicht viel Zeit, daher ein paar wild zusammengewürfelte fotografische Eindrücke...

































Sonntag, 1. Mai 2011

3. RUNDBRIEF

Liebe UnterstützerInnen,
liebe Freunde, lieber Leser
,

in weniger als 100 Tagen werde ich bereits wieder „deutschen Boden“ unter den Füßen haben, werde mein Zimmer nicht mehr mit Ameisen teilen, nicht jeden Tag Reis mit Bohnen essen, meinen Alltag wieder auf Deutsch anstatt Portugiesisch meistern und mich wohl oder übel wieder an feste Busfahrpläne gewöhnen müssen. Nur einige Beispiele, die mir auf Anhieb einfallen, wenn ich darüber nachdenke, dass bereits ¾ meines FFDs vergangen sind und ich schon bald wieder Richtung Heimat aufbrechen werde.

In diesem dritten Rundbrief ist die Themenwahl mir überlassen. Es wird daher hauptsächlich um meine derzeitige Arbeit im Projekt gehen, denn zum einen hat sich einiges geändert und zum anderen ist es einer der größten Bestandteile meines Alltags, über den ich bisher nur sporadisch berichtet habe.

Die gesamten ersten sechs Monate verbrachten meine Mitfreiwillige Tirza und ich in der sogenannten Creche - dem Kindergarten - jede von uns in einer Horde von 1-3jährigen Kindern. Zwar hat uns die Arbeit mit den „Kleinen“ gut gefallen, da in unserem Projekt jedoch Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre betreut werden und wir zu Beginn des Jahres abgemacht hatten, während des Jahres mit allen Altersklassen zu arbeiten, konnten wir im Januar, nach einigen Diskussionen, unseren Arbeitsalltag komplett neu gestalten.

Auf Grund einiger Umstrukturierungen und einer großer Fluktuationsrate der MitarbeiterInnen stellte sich heraus, dass zu Beginn des neuen „Schuljahres“ (Ende Januar) unter anderem der Musiklehrer das Projekt verlassen hatte. Da Tirza und ich ohnehin schon länger angefragt hatten, in seinem Kurs zu assistieren, war für uns direkt klar, dass wir diesen übernehmen wollen würden. Es war zunächst etwas schwierig, unseren Chef davon zu überzeugen, dass wir in der Lage seien den Kurs alleine zu übernehmen. Aber abgesehen von der Tatsache, dass ohnehin kein neuer Musiklehrer in Aussicht war trug vor allem unser ständiges Nachfragen, sprich unsere Hartnäckigkeit dazu bei, dass wir den Kurs übernehmen konnten. Gerade als sich also dieses angenehme „Wir haben es geschafft, es kann los gehen“ -Gefühl ausbreitete, erinnerten uns elf saitenlose und zum Teil völlig auseinandergenommene Gitarren daran, dass es eben nicht losgehen konnte… Zwei kurzfristige Spenden aus meiner Familie/ meinem Bekanntenkreis schafften die finanzielle Basis; am nächsten Tag zogen wir los und kauften Unmengen an Saiten und anderem Zubehör für die Gitarren bzw. das, was von ihnen übrig war. Nach zwei Tagen Schrauben, Hämmern und Saiten aufspannen hatten wir es geschafft: zehn Gitarren waren vollständig repariert & einsatzbereit!


Tirza, die allerdings Flötenunterricht geben wollte, sah sich zunächst mit dem Problem konfrontiert, keine Instrumente zur Verfügung zu haben. Beeindruckt davon, dass wir es tatsächlich so schnell geschafft hatten, die Gitarren auf Vordermann zu bringen, beschloss die Projektleitung daraufhin glücklicherweise einige quietsch bunte Plastikflöten zu kaufen – welch ein Glück!

Mitte Februar ging es dann endgültig los: 2x die Woche zwei Gruppen, oder auch: jeweils 10-15 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 13 Jahren, die zum Teil noch nie eine Gitarre/Flöte gesehen hatten… Es versprach also interessant zu werden. Seitdem geben wir jeden Dienstag und Donnerstag Musikunterricht. Da die Gruppen sowohl alters- als auch lernstufentechnisch absolut durchmischt sind, haben wir Konzentrations- und Rhytmusspiele zu einem festen Bestandteil unseres Unterrichts gemacht. Jeweils in den letzten 15 Minuten einer Stunde wird gemeinsam ein Spiel gespielt. Anfangs wurden diese Spiele eher kritisch beäugt (wie so oft, wenn wir etwas „Unbekanntes“ mitbringen), doch mittlerweile sind sie schon echte „Klassiker“ und sorgen jedes Mal für große Begeisterung!




An den verbleibenden drei Tagen helfen wir im
sogenannten „Cidadania“ (wörtl. Staatsbürgerschaft) Kurs, einer Art SoWi- / Gesellschaftskundeunterricht. Meistens werden Texte zu verschiedenen Themen
( (sexuelle) Gewalt, Kinder- und Jugendrechte, Indigene Bevölkerung, andere Länder etc.) gelesen und anschließend in der Gruppe besprochen. Die entsprechende Lehrkraft hat uns gegenüber schon mehrfach geäußert, dass sie kein Interesse hat, mit dieser Altersklasse
(ebenfalls Kinder und Jugendliche zwischen 8-13 Jahren) zu arbeiten und gegen ihren Willen dort eingesetzt wurde - schade! Auf der anderen Seite jedoch Glück im Unglück, da sie froh um unsere Hilfe ist und uns den Unterricht oftmals auch übernehmen lässt. Wir haben demnach ziemlich viele Freiheiten was die Gestaltung der Stunden angeht, da zumeist nur ein grobes Thema vorgegeben ist. Nach dem „Cidadania“ Kurs sind wir sehr oft Draußen und spielen mit der Sportgruppe (oder oftmals auch mit Kindern, deren Kurse ausfallen) Volleyball, Indiaca oder andere Teamsportarten/ Gruppenspiele. Bis auf diese fest abgesprochenen Bestandteile unserer Arbeit gestalten wir unsere Tage ansonsten weitestgehend selbstständig und vor allem spontan, da häufig LehrerInnen fehlen, deren Kurse wir dann übernehmen. Unser Aufgabenbereich hat sich also explosionsartig erweitert, was ich als große Chance empfinde, da wir so unsere eigenen Ideen mit einbringen bzw. umsetzen können. So gehen wir dreimal die Woche ins „Criança Feliz“ (wörtl. Glückliches Kind), eine Art Vorschule für die 3-6jährigen Kinder, und singen mit jeweils 2-4 Gruppen brasilianische (und manchmal auch die ein oder anderen deutschen) Kinderlieder.
Außerdem haben wir herausgefunden, dass es (zumindest auf dem Papier) eine Art Schülerzeitung gibt. Abgesehen davon, dass diese mit 5 Mitgliedern auch relativ knapp besetzt ist, fehlt es vor allem an einem verantwortlichen Mentor, denn der „Zeitungsvorstand“ ist zarte 14 Jahre alt und mit der Anleitung der restlichen Gruppe absolut überfordert. Auch bei diesem „Projekt“ werden wir also in Zukunft mithelfen können – wir sind gespannt!
Jetzt habe ich zwar schon einiges erzählt, merke aber, dass es gar nicht so einfach ist, unseren neuen „Arbeitsalltag“ in Worte zu fassen, da er zum einen so vielfältig ist und sich zudem Tag für Tag erweitert. Fest steht, dass uns die Arbeit mit den älteren Kindern und Jugendlichen sehr viel Spaß macht, da wir jetzt viel mehr Verantwortung und Handlungsfreiheit haben als in der Creche. Trotzdem ist die Situation insgesamt gesehen etwas schwierig, da es nach wie vor an einem festen Ansprechpartner fehlt. Weiterhin bestehende finanzielle Probleme haben zum einen dafür gesorgt, dass ein großer Teil von (teils langjährigen) MitarbeiterInnen das Projekt verlassen hat, und sind zum anderen Grund dafür, dass wir als Freiwillige noch weniger „gesehen werden“ als vorher.
Wenn wir Fragen oder Gesprächsbedarf haben, werden wir oftmals von „A nach B“ verwiesen, da sich niemand für uns zuständig fühlt. Zwar ist es verständlich, dass auf Grund schwerwiegender anderer Probleme nicht viel Zeit für Gespräche oder Auseinandersetzungen mit uns als Freiwilligen bleibt, jedoch finde ich den generellen Mangel an Interesse fragwürdig. Dass wir zum Beispiel die Gitarren repariert haben, wurde zwar begrüßt, allerdings hat bis heute niemand gefragt, wie der Kurs eigentlich läuft, oder woher überhaupt das Geld für die Saiten etc. kam. Seitens einiger MitarbeiterInnen wird ab und an Kritik an unserer Arbeit geäußert, da unsere Umgangsweise mit den Kindern und Jugendlichen sich stark von der der anderen LehrerInnen unterscheidet. Unter anderem auf Grund des geringen Altersunterschieds zu den Jugendlichen aber auch schlichtweg, weil wir aus unserer Schulzeit oder vorhergehenden Aktivitäten in Jugendgruppen eine andere Vorgehensweise kennen, ist unser Verhältnis zu den Jugendlichen oftmals eher freundschaftlich.



Anfangs fand ich es schwierig mit dieser Kritik angemessen umzugehen, vor allem, weil diese uns gegenüber nie direkt geäußert wurde bzw. nicht im Gespräch mit uns sondern „hinter unserem Rücken“. Mittlerweile haben wir uns, wie man so schön sagt, „damit abgefunden“ bzw. für uns persönlich herausgefunden, dass es uns wichtiger ist, ein gutes Verhältnis zu den Kindern und Jugendlichen zu haben, als uns in allen Punkten den MitarbeiterInnen anzugleichen. Begünstigt wurde diese Einsicht dadurch, dass, vor allem seitdem so viele langjährige MitarbeiterInnen das Projekt verlassen haben, es auch zwischen den anderen KollegInnen sehr häufig Konflikte gibt und man sich innerhalb der Mitarbeiterschaft, sicherlich auch auf Grund der enormen Größe des Projekts (s.1.Rundbrief), nicht als eine Einheit versteht.





So kann ich also nach diesen 9 Monaten hier in Ceilândia durchaus behaupten, das ein oder anderen Mal an mir gezweifelt zu haben, mich gefragt zu haben, was ich hier eigentliche mache, die hiesige Kultur manches Mal als absolut verschieden und ein anderes Mal als sehr ähnlich empfunden zu haben, sie mir in manchen Punkten unbegreiflich erscheint und mich an anderer Stelle schlichtweg fasziniert. Trotz allem oder vielleicht auch gerade deswegen hatte ich bisher eine spannende, aufregende, anstrengende, einzigartige, unvergessliche und - ihr habt es sicherlich schon bemerkt - unbeschreibliche Zeit!
Ich freue mich zwar schon jetzt wieder nach Hause ins Bergische Land zu kommen, euch alle wiederzusehen, zu jeder Uhrzeit auf die Straße gehen zu können, Fahrrad zu fahren, zu Studieren etc. und dennoch wird „ein Stück Lisa“ in dieser hässlichen, brasilianischen Satellitenstadt Ceilândia, im „Cantinho do Girassol“ und vor allem bei den Kindern und Jugendlichen bleiben.

Vielen Dank für eure wertvolle Unterstützung, aufmunternde Worte, Kritik sowie die spontanen Spenden für unser Musikprojekt 

eure Lisa